Eine Kurzgeschichte von Maria-Teresa Straub
In den letzten Tagen der Faschingsferien kam mir die dumme Idee mit meinen zwei Buben nach Garmisch Partenkirchen an die Zugspitze zu fahren. Warum ich dumme Idee sage verrate ich Ihnen in der folgenden Geschichte.
Die Faschingsferien waren nicht unbedingt zu meiner Zufriedenheit verlaufen bzw. zur Zufriedenheit meiner Kinder. Für meinen Jüngsten der sowieso ein Couchpotatoe ist war es vielleicht weniger schlimm das wir wenig nach draußen gekommen waren. Auch wegen der kalten Temperaturen im Februar. Doch als ich mit der Idee kam einen Tag in den Bergen zu verbringen war auch er hellbegeistert auch weil er diese Gegend während einer Klassenfahrt eine komplette Woche genießen durfte. Meine Idee wurde also von meinen Jungs gut aufgenommen und wir freuten uns auf einen schönen Tag. Das Wetter spielte seit ein paar Tagen auch wieder mit, doch an dem betreffenden Morgen war es wieder bitterkalt. Da ich ein Mensch bin der immer Zeichen dieser Art beachtet, hätte ich schon jetzt darauf kommen können das meine Idee vielleicht doch nicht die richtige war. Das Thermometer zeigte 4°C an und man konnte davon ausgehen das es in den Bergen noch mal 5 Grad kälter sein dürfte, da Garmisch ca. 200m höher liegt als München. Ich hatte mir ein Bayern Ticket gekauft. Dadurch hat man die Möglichkeit alle regionalen Zugverbindungen im Bundesland Bayern für einen kompletten Tag mit bis zu 5 Personen zu nutzen. Diese Fahrkarte kann man einfach am Automaten im Bahnhof auch kurzfristig kaufen ohne lange Vorbestellung. Eine Tatsache die mir sehr entgegenkommt da ich ein sehr spontaner Mensch bin und nicht gerne mehrere Wochen im Voraus plane wenn es nicht unbedingt sein muss. Bisher waren wir lediglich zu dritt bzw. zu zweit da ich als Rollstuhlfahrer bzw. meine Begleitung ja befreit ist. Meine Töchter hatten an diesem Tag keine Zeit, sodass ich einen Bekannten fragte ob er Lust hätte einen Tag in den Bergen zu verbringen. Am Abend zuvor hatte ich schon für Proviant gesorgt. So weit so gut.
Doch an diesem Morgen schien mir mein Bett besonders kuschelig und wohlig warm das ich am liebsten gar nicht aufgestanden wäre (Das zweite Zeichen das ich nicht beachtet habe). Da ich aber an meine Jungs dachte raffte ich mich auf. Ich bereitete ein schnelles Frühstück für uns zu, um nicht allzu spät aus dem Haus zu gehen und noch den Tag zu genießen. Während ich meinen Cafe Latte genießen wollte klingelte es an der Tür.
Kennen Sie diese Menschen, deren Stimmung man schon an der Art und Weise erkennt wie sie die Türklingel betätigen? Für einen kurzen Moment breitete sich in meinem Kopf die Idee aus dieses unangenehme Geräusch einfach zu ignorieren. Dieser Gedanke wurde allerdings augenblicklich im Keim erstickt, da mein Jüngster die Angewohnheit hat schon beim ersten Klopf- oder Klingelgeräusch die Türklinke in der Hand zu haben. Von diesem Zeitpunkt an hatte ich eine Person in meiner Wohnung der man auf den ersten Blick ansah dass sie schon am Zielbahnhof angekommen war, bevor wir überhaupt unsere Jacken anhatten geschweige denn das wir wussten von welchem Gleis unser Zug abfuhr. Dementsprechend seine Frage:
„Seid Ihr noch nicht fertig??“ Womit er zu sagen schien „Ich dachte wir treffen uns oben auf der Zugspitze.“
Mein Ziel war wie gesagt die bessere und saubere Luft der Berge gegenüber der Großstadt zu genießen und nicht Reinhold Messner Konkurrenz zu machen. Mal ganz abgesehen davon dass die Witterungsverhältnisse einen Liftbetrieb in höhere Lagen an diesem Tag wohl kaum zulassen würden. Außerdem bin ich schon immer ein leidenschaftlicher Zugpassagier gewesen und freute mich schon allein auf die Fahrt durch die schöne Landschaft Oberbayerns. Wie sollte ich jetzt diesem unternehmungslustigen Gesellen meine Sicht der Dinge klar machen? Mein Versuch ihm einen warmen duftenden Kaffee anzubieten scheiterte an dem folgenden Satz:
„Nein, danke. Den habe ich schon vor 2 Stunden genossen. Für einen zweiten haben wir nun wirklich keine Zeit. Sonst kommen wir heute gar nicht mehr an.“
Ich vergaß zu erwähnen, dass der Zug nach Garmisch stündlich fuhr. Der Grund für seine übertrieben Eile war also nicht nachvollziehbar. Allein das Wort genießen bekam in der Art und Weise wie er es aussprach eine völlig gegensätzliche Bedeutung, weil ich mir genau in diesem Moment vorstellte wie er seinen Kaffee „genossen“ haben musste! Von da an war ihm praktisch jeder Handgriff der unseren Aufbruch auch nur im Geringsten verzögerte ein Dorn im Auge, auch oder gerade weil dieser nicht von ihm selbst ausgeführt werden musste, da er natürlich viel schneller mit allem fertig gewesen wäre. Nachdem mein Kaffeegenuss also ebenfalls im Keim erstickt wurde begab ich mich für meine letzten persönlichen Vorbereitungen ins Badezimmer. Trotz verschlossener Tür begleitete mich das unangenehme Nebengeräusch einer nervösen auf und ab laufenden Person aus dem Wohnzimmer. Das erste Lächeln das er uns an diesem Morgen schenkte kam in dem Moment als wir alle unsere Jacken anhatten.
Der Weg von zu Hause bis zum Hauptbahnhof verlief ohne Probleme. Unsere Begleitung war nun erleichtert, da es nun endlich vorwärts ging und schien dem Tag voller Erwartungen entgegen zu sehen. Der Grund für seine spontane Hilfsbreitschaft unseren prall gefüllten Proviantrucksack zu tragen war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich klar. Ich war froh dass ich meine Digitalkamera am Abend zuvor aufgeladen und bei mir hatte in der Hoffnung auf ein paar schöne Bilder.
Da ich wie gesagt ein sehr spontaner Mensch bin und eigentlich auch immer eine tatkräftige Hilfe dabei habe, bestelle ich nur sehr selten eine Rampe über welche ich bequem in den Zug hineinfahren kann. So war es auch an diesem Tag. Beim betreten des Bahnsteigs begegneten wir der Schaffnerin, einer Person bei der man nicht so genau wusste zu welchem Geschlecht man sie denn nun zählen sollte. Im Vorbeigehen fragten wir im Scherz ob sie uns auch noch mitnehmen würde? Die Frage war förmlich gemeint. Wir erwarteten natürlich keine verneinende Antwort. Doch Ihr Gesichtsausdruck verriet dass sie uns am liebsten genau eine solche gegeben hätte. An der Wagentür angekommen stellten wir fest das sich in der Mitte eine Eisenstange zum Festhalten befand die ein Durchkommen mit dem Rollstuhl unmöglich machte. Wir fragten sie also höflich ob sie einen Schlüssel hätte um diese Stange zu entfernen.
„Alles weitere würden wir schon selbst schaffen.“, fügten wir schnell hinzu da sich ihr Gesicht bereits so verdunkelt hatte, als hätten wir sie gebeten mich inklusive Rollstuhl im Alleingang auf den Berg zu tragen.
Wir hatten das Glück einen Platz ganz hinten im Zug zu bekommen, was den ungeahnten Vorteil hatte das wir diese Person außer bei der anfänglichen Fahrkartenkontrolle nicht mehr zu Gesicht bekamen. Ihre Präsenz war allerdings nicht zu überhören denn die Kraft mit der sie an jedem Bahnhof in ihre Pfeife blies, signalisierte deutlich dass ihr bereits diese simple Tätigkeit zu viel war. Aber von alldem ließen wir uns den Tag nicht vermiesen. Wir nahmen unsere Plätze ein, jeder hatte ein Fenster für sich von wo aus er die vorbeigehende Landschaft betrachten konnte, die je weiter sich unser Zug Richtung Alpen bewegte immer weißer wurde. Meine Jungs, die wie ich gerne Fotografieren und alles beobachten hielten es auf ihren Sitzen nicht lange aus und machten mit Ihren Kameras einige Fotos und auch kurze Filmaufnahmen. Auch ich war hin und weg von den majestätischen Bergen und versuchte durch Strecken und Recken die Spitze mancher Berge zu erblicken. Sie schienen als seien sie mit Puderzucker bestäubt worden…Apropos Zucker! In unserer Aufregung vergasen wir völlig unseren Mitfahrgesellen der mit dem gleichen Eifer mit dem er uns aus dem Haus geführt hatte nun unser Proviant inspizierte. Meine Sorge galt dem halben Marmorkuchen den ich noch am Abend zuvor für unseren Ausflug gebacken hatte. Ich stellte mir blitzartig selbst die Frage wie lange wir wohl abgelenkt gewesen waren und ob vielleicht in der Zwischenzeit nur noch ein Viertel des Kuchens übrig war. Obwohl unser Begleiter kein völlig fremder Mensch war, fand ich seine Aktion nicht besonders prickelnd. Ich nahm also den Rucksack näher zu mir. Ich wollte nicht geizig erscheinen aber ihm doch deutlich klar machen dass wir später in Garmisch doch gemeinsam etwas essen könnten. Er schien sich damit wohl oder übel abzufinden da unser Reiseziel auch bald erreicht war.
Nach unserer Ankunft und den ersten tiefen Atemzügen in der sauberen Bergluft machten wir es uns auf einer Bank bequem um uns etwas für den bevorstehenden Erkundungsspaziergang zu stärken. Wer jetzt denkt dass unser Begleiter ja eigentlich zufrieden mit der Situation sein musste täuscht sich. Ich hatte natürlich auch für eine zusätzliche Person mitgedacht, sodass von Allem auch ein Teil für ihn abfiel. Sowohl belegte Brötchen, Obst, der schon erwähnte Marmorkuchen und auch eine Fruchtsaftschorle. Daher glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen als er noch kauend mit der Frage herausplatzte wann wir denn nun endlich zur Spitze des Berges aufbrechen würden? Wie bereits eingangs erwähnt war das weder mein Ziel noch waren die Witterungsbedingungen dafür gegeben. Darüber hinaus war die Temperatur hier wie vermutet knapp unter 0 und zusätzlich schneite es dicke Flocken. Ein Blick hinauf zum Berg der wegen des Schnees kaum zu sehen war ließ keinen anderen Schluss zu als den das man von dort oben entsprechend genauso wenig von der Landschaft zu sehen bekam. Eine Meinung die übrigens auch meine Kinder teilten, sodass er mit seinen „Höhenflügen“ nun alleine dastand.
Während unseres Aufenthaltes interessierten sich meine Jungs für die Altstadt und waren immer wieder aufs Neue begeistert, wenn der Schneefall doch mal soweit abnahm, das die hohen Berge einen malerischen Hintergrund für das eine oder andere Foto zauberten.
Da die Straßen aufgrund des lange andauernden Frostes ziemlich viele Schlaglöcher aufwiesen und an vielen Stellen noch große Schneehaufen vorhanden waren übernahm unser Begleiter meinen Rollstuhl da er mehr Erfahrung in der Handhabung hatte. Meine Zustimmung hierzu sollte sich allerdings bald ebenfalls als Fehler herausstellen. Er rannte mit uns durch die Ortschaft als wollte er den Rollstuhlmarathon mit Begleitperson (ich habe keine Ahnung ob es so etwas gibt) gewinnen. Desöfteren war ich gezwungen scharf abzubremsen um überhaupt einen flüchtigen Blick auf ein Gebäude oder in eines der Schaufenster werfen zu können, wo z.B. viele kleine Holzarbeiten ausgestellt waren. Es war übrigens Sonntag. Gar nicht auszudenken, wären wir an einem anderen Wochentag hierhergekommen, wo die Möglichkeit bestanden hätte eines der Geschäfte auch noch zu betreten. Dank seiner nervösen Fortbewegungsweise, vielen wir einer älteren Frau auf, die den einzig für sie logischen Schluss zog. Wenn wir es so eilig hatten, konnten wir nur auf der Suche nach einer Toilette sein. Um dieser Hetzerei endlich zu entgehen packte ich die Gelegenheit am Schopf und fragte tatsächlich nach einem Cafe das eine rollstuhlzugängliche Toilette hatte, obwohl ich nicht den geringsten Bedarf verspürte. Ob sie es nun glauben oder nicht. Von nun an hatte ich zwei Quälgeister am Hals. Denn die Dame schleppte uns in einer Gaststätte mit deren Besitzern sie offensichtlich gut befreundet war, was dazu führte, das Sie am Nebentisch saß, sich einen Kaffee bestellte und erst mal munter mit der Wirtin drauflos plauderte. Inhalt des Gesprächs war unter anderem natürlich auch ihre eben beendete „Rettungsaktion“ von mir und meinen Begleitern. Um jetzt nicht unglaubwürdig zu erscheinen, begab ich mich trotz leerer Blase in Richtung Toilette, wo ich mir lediglich die Hände wusch und innig hoffte das die alte Dame nicht auf die Idee kam zu kontrollieren ob sich der Aufwand für ihre Aktion überhaupt gelohnt hatte. Da ich nicht unbedingt das Bedürfnis hatte mich mit meinen Kindern sofort wieder diesem Stress auszusetzen, bestellten wir uns dann auch Kaffee bzw. Kakao für meinen Jüngsten. Diese Aktion kostete mich unverschämte 3,50 Euro pro Getränk. Glatt einen Euro mehr als in München und darüber hinaus ohne jeglichen Geschmack.
Mein älterer Sohn schien meine Gedanken gelesen zu haben und übernahm nachdem wir das Lokal verlassen hatten die Führung des Rollstuhls, wofür ich ihm sehr dankbar war. Der Schneefall hatte nachgelassen, sodass wir dachten wir könnten jetzt noch ein paar nette Fotos mit nach Hause nehmen. Doch obwohl ich diejenige war die einen schulpflichtigen Sohn dabei hatte der am nächsten Morgen aufstehen musste, was es nun mal wieder unser Belgleiter der es nicht abwarten konnte so schnell wie möglich wieder zurück zum Bahnhof zu kommen. Wir begnügten uns also mit ein paar Schnappschüssen, die wir auf dem Weg dorthin noch machen konnten und waren uns alle drei einig diesen Kameraden doch so schnell wie möglich loszuwerden, was dieser selbstverständlich als Zustimmung für seine Meinung auffasste, das es ja schon spät sei und man nicht zu spät in München ankommen dürfe. Der Grund hierfür war außer für ihn mal wieder für niemand einleuchtend. Auf der Rückfahrt sprach kaum jemand ein Wort. Auch die Landschaft schien jetzt vor uns Ruhe haben zu wollen indem sie sich in der Dunkelheit verkroch.
Wir verabschiedeten uns am Bahnhof um zu verhindern dass er noch mit zu uns nach Hause gekommen wäre, wo er möglicherweise unser viel zu langsames Auspacken kritisiert hätte, weil doch in 10 Minuten noch ein toller Film im Fernsehen käme den man unter keinen Umständen verpassen dürfe. Der krönende Abschluss dieses Tages ließ also nicht so lange auf sich warten. Unser Begleiter verabschiedete sich mit folgendem Satz.
„Es war trotz allem ein sehr schöner Tag. Der Ausflug mit euch hat mir sehr viel Spaß gemacht. Wenn ihr etwas in der Art in Zukunft nochmal vorhabt, wisst ihr ja wo ihr mich findet!“
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